Home

Nov 11, 2011

Gedanken zum Gedenken


Eine Tafel in der Katharinenkirche. Bemerkungen anlässlich des Volkstrauertags 2011

 

In kirchlichen Räumlichkeiten, die wie die der Katharinenkirche eine lange und  reichhaltige Tradition aufweisen, lohnt es sich zuweilen, den Blick auf die Wände schweifen zu lassen.

 

In diesem Falle meine ich damit den Blick auf die sogenannte Gefallenentafel. Was eignet sich mehr als ein Gottesdienst zum Volkstrauertag, den man früher gar „Heldengedenktag“ nannte, um sich mit dieser Tafel zu befassen?

Gedenktafel

 

Zunächst einmal das eher Positive, bevor ich zum Bedenklichen komme:

 

Vergleicht man die genannte Tafel mit der in anderen Kirchen, in zahllosen öffentlichen Gebäuden oder sogar Inschriften auf  monumentalen Plastiken, dann fehlt etwas auf wohltuende Weise.  Zum Beispiel das, was auf einer Tafel in unserer Partnerstadt,  im Dom St. Nikolai in Greifswald, steht. Da heißt es:

 

„Die gefallenen Helden ehrt dankbar König und Vaterland. Es starben den Heldentod 1914-1918“.

 

Auch andernorts wird wahllos daran erinnert, die Menschen seien „tapfer“, „für das Vaterland“ oder gar „für Deutschlands Freiheit“ gestorben. Ähnliche Tafeln gab oder gibt es in Osnabrück im Rathaus oder in der früheren Bezirksregierung, nicht wenige auch in Osnabrücker Schulen. Im Ratsgymnasium war einst sogar eine Inschrift zu lesen, auf der es lateinisch hieß „Dulce et decorum est pro patria mori – zu Deutsch „Süß und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben.“, ein schrecklich berühmtes Zitat des antiken Dichters Horaz.

 

Auf einem Hamburger Mahnmal zum 1. Weltkrieg wurde sogar eingemeißelt „Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen!“

 

Viele dieser und ähnlicher Erinnerungsorte sind immer wieder gern dekoriert mit dem preußisch-deutschen Balkenkreuz, das wir auch auf unserer Tafel sehen.

 

Ein sogenanntes kriegerisches Balkenkreuz also in Räumen, die eigentlich allein dem christlichen Kreuz gewidmet sein sollten. Dass andere Kreuze – vom Hakenkreuz bis zum Roten Kreuz – aus ganz unterschiedlichen Erwägungen eine ähnliche Tradition beschwören, lasse ich hier einmal weg. Das bei uns zu sehende Balkenkreuz aber verdient es, ein wenig hinsichtlich seiner Bedeutung vertieft zu werden.

 

Schon der Deutsche Orden nutzte bei seiner Gründung 1190 ein schwarzes Tatzenkreuz auf weißem Hintergrund zur Abgrenzung und Unterscheidung von den anderen Ritterorden, die bereits Kreuze in anderen Farben hatten. Die Bedeutung dieses Vorläufers des Balkenkreuzes geht also auf das Kreuz Christi zurück und sollte zeigen, dass der Orden von christlicher Prägung ist. Dieses Kreuz der Kreuzritter ist seither verbunden mit allen blutigen Kreuzzügen unserer Geschichte.

 

Zu Beginn der sogenannten Befreiungskriege 1813 wurde das schwarze Kreuz auf weißem Hintergrund von Preußen als Kriegsauszeichnung und Symbol übernommen. Die Kriegsauszeichnung hatte seither den Namen „Eisernes Kreuz“ erhalten, da sie aus Eisen hergestellt wurde, das später bekanntlich als Bezeichnung für den höchsten Orden für angebliche Tapferkeit vor dem Feind“ vergeben wurde. Nicht selten folglich eine Auszeichnung für das Töten anderer Menschen.

 

Mit der Gründung des Deutschen Reiches und der Kaiserlichen Marine 1871 erschien das Eiserne Kreuz in der Kriegsflagge. Von 1916 bis 1918 wurde es in seiner vereinfachten Form als Balkenkreuz verwendet. Später übernahmen sowohl die Reichswehr als auch die Wehrmacht das Symbol in seinen verschieden Formen als Hoheitszeichen, unverkennbar angebracht auf Panzern oder auf Bomben- oder Jagdflugzeugen. Die Bundeswehr nutzt das Kreuz heute bekanntlich in seiner geradlinigen Form, weil sie damit eine geschichtliche Verbundenheit ausdrücken will.

 

Dies geschieht durch die Anbringung des Balkenkreuzes – bewusst oder unbewusst - auch auf einer Tafel im kirchlichen Raum.

 

Die eher schlichte Aneinanderreihung von Vor- und Nachnamen von zu Tode gekommenen Gemeindemitgliedern  sind unterteilt auf Jahreszahlen: 1914, 1915, 1916 und 1917. Es sind die Jahre des 1. Weltkriegs. Der forderte rund 17 Millionen Menschenleben. Annähernd 70 Millionen standen unter Waffen. Etwa 40 Staaten waren am Krieg direkt oder indirekt beteiligt.

 

Die Namen auf der Tafel in dieser Kirche sind die sogenannten „Gefallenen“.

 

„Gefallene…“. Allein schon dieser Begriff „Gefallene“ sollte uns erschauern lassen. „Gefallen“ beschreibt  bis in die heutige Zeit hinein im Alltag etwas vollkommen Harmloses: Ein Hinfallen mit in aller Regel überschaubaren Blessuren.

„Gefallen“ im Krieg bedeutet dagegen einen entsetzlichen Tod infolge von Gewaltanwendung. Ein Tod, der in aller Regel gesunde Menschen traf – und bis heute trifft - , die ihren Weg zum sogenannten „Schlachtfeld“ nicht aus freien Stücken gegangen sind, sondern weil dies eine Regierung von ihnen verlangte. Die allermeisten der auf der Tafel aufgelisteten Menschen starben überdies – dies kann man mit Fug und Recht annehmen – in sogenanntem Feindesland. Sie büßten ihr Leben inmitten einer ihnen fremden und feindselig eingestellten Bevölkerung ein, denen gegenüber die deutschen Soldaten aggressiv und mit einer Waffe in der Hand  aufzutreten hatten. Ganz so, wie ihnen dies Kaiser, Fürsten und Generäle befahlen. Ganz so, wie es ihnen Lehrer, Professoren, Arbeitgeber  oder Vorgesetzte an der sogenannten „Heimatfront“ eingebläut hatten.

 

An welchen deutschen Schriftsteller kann man an dieser Stelle besser und würdiger erinnern als an den Sohn unserer Stadt, an Erich Maria Remarque? Einer, der all denen, die  auf unserer Tafel stehen und Millionen anderer in Form seines auf der ganzen Welt verbreiteten Romans „Im Westen nichts Neues“ ein bleibendes Denkmal geschaffen hat. „Denkmal“ übrigens in einem ganz anderen Sinne des Wortes, nämlich als Imperativ: „Denk mal!“

 

Geschieht dies in der Katharinenkirche, wann immer Menschen auf die Tafel blicken, hätte sie womöglich einen Sinn. Als Zierde oder gar Propagandatafel braucht sie niemand.

Heiko Schulze