Balkan / Ex-Jugoslawien

Nov 15, 2022

Krieger und Deserteure


Am diesjährigen „Volkstrauertag“ hat die OFRI erneut Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern gedacht. Am sogenannten „Kriegerdenkmal“ an der Sedanstraße 60 waren Günter Gall mit Antikriegsliedern und Thomas Müller mit der anhängende Rede beteiligt. Die OFRI hat erreicht, dass die Stadt über die Zukunft dieser Denkmäler nachdenkt. Dazu wird im kommenden Jahr ein Vorschlag des AK Erinnerungskultur an den Kulturausschuss erwartet. Beteiligt ist ein Schüler*innen-Projekt des Graf-Stauffenberg-Gymnasiums.

 

Rede Thomas Müller/ OFRI zum Volkstrauertag 13.11.2022, Sedanstraße 60

1. Begrüßung:

Ich begrüße Euch/Sie hier am Volkstrauertag zu unserer mittlerweile 3. Intervention nach den Jahren 2020 und 2021 an einem Osnabrücker Kriegerdenkmal. Diesmal handelt es sich um eins der wenigen Kriegerdenkmale in Osnabrück mit einer permanenten zusätzlichen Antikriegsinstallation, d.h. nicht nur einer temporären Intervention, wie hier heute von uns durchgeführt. Hierzu wird der Künstler dieser dauerhaften Installation, Volker-Johannes Trieb im Anschluss an meinen Beitrag noch einiges sagen. Umrahmt wird die Intervention mit Liedern, vorgetragen von Günter Gall.

2. Zu diesem Kriegerdenkmal:

Dieses Kriegerdenkmal entstand in der Nazizeit, 1938 und damit kurz vor dem Überfall Deutschlands auf Polen und dem Beginn des 2. Weltkrieges. Gegenüber befand sich die große Scharnhorstkaserne und auf dieser Seite die Metzerkaserne. Sie waren im Rahmen der Aufrüstung der deutschen Wehrmacht hier entstanden. In der Kaserne war ein Artillerieregiment stationiert, das sich auf das 1. und 2. Lothringische Feldartillerieregiment bezog, die im 1. Weltkrieg an vielen Schlachten beteiligt waren. Somit erinnert das Kriegerdenkmal „auch“ an den 1. Weltkrieg – warum ich „auch“ sage, wird später klar werden. In Erinnerung an den 1. Weltkrieg sind auf den Seiten der Säulen die Ort von verschiedenen Schlachten aufgeführt, so z.B. Verdun, Marne, Somme u.a..

Auf den Vorderseiten jeder Säule ist zu lesen:

„Zur Erinnerung an unser ruhmreiches 1. Lothringisches Feldartillerieregiment 33 – Metz“

bzw.

„Unsrem ruhmreichen 2. Lothringischen Feldartillerieregiment 34 – Metz zum Gedächtnis“

2 Regimenter also, die an dem jahrelangen Stellungskrieg im Westen, dem schlimmsten Gemetzel und gegenseitigen Abschlachten teilgenommen hatten, werden kurz vor Beginn des 2. Weltkrieg als „ruhmreich“ dargestellt.

Auf der mittleren kleinen Säule ist zu lesen:

„Gedenket der tapferen Kameraden die im Kriege 1914 – 1918 heldenmutig gefallen sind“

Die im oben beschriebenen Stellungskrieg gefallenen Soldaten waren also nicht nur „ruhmreich“, sondern sind auch noch „tapfer“ und „heldenmutig gefallen“. Da muss man sich schon einmal fragen, wie war das damals mit dem „ruhmreich, tapfer und heldenmutig“ Fallen in den Schlachten?

Hierzu ein Auszug aus einem Feldpostbrief, den ein Soldat nach einem seiner ersten Gefechte an der Westfront schrieb:

„Ich stand auf. Welch ein Anblick bot sich mir! … Die Toten waren zum Teil entsetzlich anzusehen, teils lagen sie auf dem Gesicht, teils auf dem Rücken. Blut, verkrallte Hände, verglaste Augen, verzerrte Gesichter. Viele hielten die Gewehre krampfhaft in der Hand, andere hatten die Hände voll Erde oder Gras, das sie im Todeskampf aufgerissen hatten. Ich sah viele Soldaten beisammen stehen an einer Stelle, ging hin, und es bot sich da ein entsetzliches Bild. Ein deutscher und ein französischer Soldat lagen da halb kniend gegeneinander. Jeder hatte den anderen mit dem Bajonett durchbohrt und waren so zusammengesunken. … Mut, Heldentum, ob es das wohl gibt? Ich will es fast bezweifeln, denn im Feuer sah ich nichts als Angst, Bangen und Verzweiflung in jedem Gesicht geschrieben. Von Mut, Tapferkeit und dergleichen überhaupt nichts, denn in Wirklichkeit ist‘s doch nur die furchtbare Disziplin, der Zwang, der den Soldaten vorwärts und in den Tod treibt.“

(Oliver Janz, „14 – Der Große Krieg“, S. 101, Frankfurt am Main 2013)

Soweit zu „Ruhm, Heldenmut und Tapferkeit“

Auf dem Podest unter der mittleren Säule lesen wir weiterhin:

„Ob auch alles um uns sank lasst uns nicht entarten, haltet Schwert und Ehre blank unsre Toten warten“

Ich wiederhole es noch einmal --- (nochmals vorlesen)

Was heißt das, was wird uns hier vermittelt?

„Ob auch alles um uns sank lasst uns nicht entarten, haltet Schwert und Ehre blank …“: Wer ob der ganzen Vernichtung, der Zerstörung und des Elends in Zweifel an der militaristischen Einstellung kommt, wer sich dem Wahn von Aufrüstung und Krieg entzieht, wer sich dem abwendet, der gilt als „entartet“!! Und was das in der NS-Zeit in Deutschland bedeutete ist klar - so jemand kann in KZs vernichtet werden.

Der Satz geht aber auch noch weiter:

„… unsere Toten warten“.

Hier geht es um die Fortsetzung des im 1. Weltkrieg Begonnenen und die Revanche für den verlorenen Krieg. Es handelt sich um die Kriegsvorbereitung, Rechtfertigung und Motivation für den 1 Jahr später mit dem Überfall auf Polen beginnenden 2. Weltkrieg. Deshalb hatte ich oben von „auch“ gesprochen. Neben der Erinnerung, Verklärung und Sinngebung bezüglich des 1. Weltkrieges geht es auch schon um die Vorbereitung des 2. Weltkrieges.

Erich-Maria Remarque hat in seinem Roman „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“ (Kap. XIII) einen Dialog zwischen dem Soldaten Graebner, der im 2. Weltkrieg von der Ostfront zurück nach Osnabrück kommt, und seinem ehemaligen Religionslehrer Pohlmann dargestellt. Der Soldat Graebner hat Stalingrad erlebt und ist an Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung beteiligt gewesen.

In diesem Gespräch fällt auch der zentrale Satz:

„Wann wird zu Mord, was man sonst Heldentum nennt?“

Aber, in dem Gespräch geht es auch um Mitschuld und um die Frage, was der Soldat Graebner – der an die Front zurück muss – tun kann:

„Ich kann mich weigern. Dann werde ich gehängt oder erschossen. Oder ich kann desertieren. Dann wird man mich ziemlich sicher nach kurzer Zeit fassen, – man kann sich da auf die Organisation und die Denunzianten verlassen. Wo sollte ich mich auch verstecken? Jeder, der mir Unterkunft gäbe, wäre selbst in Todesgefahr. Außerdem würde man Rache an meinen Angehörigen nehmen. KZ wäre das geringste für sie. Sie würden darin sterben. Und was sonst? An die Front zurückgehen und mich nicht verteidigen? Das wäre Selbstmord.“

Und weiter heißt es:

„„Und sonst gibt es nichts?“ fragte Pohlmann.“

„Es gibt noch die Selbstverstümmelung. Sie wird fast immer herausgefunden. Die Strafe ist dieselbe wie für Desertation. Tod.““

(Quelle: https://www.remarque.uni-osnabrueck.de/Schriften/zz-roman.htm)

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Menschen, die in dieser Situation von Zerrissenheit einen Weg suchen und dann z.B. zu Deserteuren und Fahnenflüchtigen werden, Menschen, die zu Kriegsdienstverweigerer werden oder sich in irgendeiner Form dem Krieg und der militärischen Logik entziehen, die als „Vaterlandsverräter“, „Kameradenschweine“ und „Drückeberger“ bis in unsere heutige Zeit diffamiert, verachtet und bekämpft werden, - diesen Menschen gilt meine Achtung, Wertschätzung und mein Respekt.

„Den gefallenen Soldaten, die so gerne noch gelebt hätten, …“, wie auf dem Banner zu lesen ist, - den gilt meine Anteilnahme, mein Mitleid und meine Trauer.

Wenn ich jetzt an den aktuellen Krieg denke, der nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Moment in Europa stattfindet – und er ist nur einer der Kriege, die weltweit stattfinden, die wir aber so gerne verdrängen – dann frage ich mich, was wird wohl nach dem Krieg auf den Denkmälern in den jeweiligen beteiligten Ländern stehen? Wieder „Ruhm, Tapferkeit und Heldenmut“? Was wird da wieder gesät und vorbereitet? Wieder eine Revanche mit einer Fortsetzung in einem neuen Krieg?

Da wird mir heftig angst und bange.

Ich danke für Eure und Ihre Aufmerksamkeit.

ThM, Volkstrauertag November 2022